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Channel: Seite 30 – Unser Havelland (Falkensee aktuell)
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Analog oder Digital?

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digitalDie Welt ist im Wandel. Die Nostalgiker lesen ihre Bücher und Comics noch auf Papier. Und hören Musik von alten Vinyl-Schallplatten. Die Fraktion der Visionisten liest digital, genießt Musik als MP3 und empfängt Videos per Streaming. Hier kommen Vertreter beider Fraktionen zu Wort.

Analog: Stefan Marotzke (Pressesprecher)

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Höher, schneller, weiter – in der digitalen Welt ist alles für jeden immer und überall verfügbar. Das spart Zeit und Mühe und kostet…ziemlich viel. Denn es verändert unser Leben fundamental – unsere Sicht auf die Welt und die Wertigkeit von Dingen – von ästhetischen Ansprüchen ganz zu schweigen. Denn digital bedeutet Beliebig- und Austauschbarkeit sowie einen Verlust von Lebensqualität. Hinzu kommt, dass ein digitales Produkt meistens qualitativ schlechter und oft auch eine Mogelpackung ist.

Bücher: „Erwirb es, um es zu besitzen“, sagte schon der alte Geheimrat Goethe. Und natürlich hatte er Recht. Ein Buch hat Umschlag und Klappentext, oder einen alten Lederrücken, dann atmet es Geschichte. Ich will es aufschlagen, die Seiten umblättern. Jede sieht mit ihren unterschiedlichen Absätzen anders aus. EBooks auf dem Kindle sind langweilig und machen keine Lust aufs Lesen. Außerdem strengt es das Auge an, am Bildschirm zu lesen. Lese ich ein Buch im Urlaub oder auf Reisen, lasse ich vielleicht eine Postkarte drin liegen, die ich später finde, wenn ich das Buch wieder aufschlage – und schon ist die Erinnerung wieder da. Ein gutes Buch zieht man immer mal wieder aus dem Regal. Es ist wie ein alter Freund, mit dem man ein Stück Wegstrecke zusammen gegangen ist – und an den man sich gern erinnert.

Musik: Songs in der Cloud? No way! Jeder kennt die Diskussionen auf Parties, wenn es darum geht, welches die erste Platte war, die man gekauft hat. Man hat sich auf das neue Album von Jefferson Starship oder Grateful Dead gefreut. Ich weiß noch genau, wann und wo ich die letzte John Lennon-LP 1980 kurz vor seinem Tod gekauft habe. Platten auflegen ist ein bewusster Prozess, bei dem man sich vorher Gedanken darüber macht, welches Album man hören will. Vinyl aus der Hülle ziehen und auf den Teller legen, die Nadel senkt sich ab und man hört ein leises Knistern…Unbezahlbar. Songs aus der Cloud sind gesichtslos, sie entwerten den Künstler und sein Werk. Wer hört bei iTunes schon ein ganzes Album durch? Wer eine LP kauft, setzt sich mit der Musik bewusst auseinander. Man entdeckt Querbezüge und kommt von Dylan über van Ronk zu Woody Guthrie – von Folk zu Blues und landet vielleicht irgendwann bei Swing und Schelllack… neue Welten tun sich auf. By the way, nahezu alle digitalen Musikformate klingen einfach nur grausam… Das erkennen ganz Viele gerade wieder und kaufen sich….richtig, Schallplatten, warum wohl.

Comics: Die berühmten Bildergeschichten sind ein besonderes emotionales Erlebnis, da sie einer der ersten Begleiter im Leben waren, meistens noch vor Platten oder Büchern. Die Erlaubnis, sich für sein Taschengeld den neuen Blueberry-Band kaufen zu dürfen, hat ungeahnte Glücksgefühle geweckt. Nie mehr in meinem späteren Leben habe ich 2,90 Mark so bewusst ausgegeben. Und auch hier gilt heute: Die Wertigkeit geht komplett verloren, das bewusste Einsetzen von Geld, um einen besonderen Schatz zu heben. Kein e-Comic kann dieses Gefühl vermitteln. Plastiktütenweise haben wir früher Comics getauscht – FBI, Buffalo Bill, Bessie – in der digitalen Welt unmöglich. Kein Zweifel, da ist Nostalgie im Spiel, aber die gehört eben auch zum Leben dazu.

Letzte Worte: Bücher, Platten, Comics sind und bleiben wichtige Begleiter des Lebens. Ich möchte sie sehen, über sie diskutieren und sie manchmal sogar verschenken. Es sind Dinge, die das Leben prägen, an denen Erfahrungen und Gefühle hängen. An digitalen Produkten hängt nichts – sie sind kalt und Eigentum erwirbt man nur bedingt. Ein gedrucktes Buch kann Werte vermitteln, LPs drücken ein Lebensgefühl aus – all das können digitale Produkte nicht. Sie machen unser Leben einfach nur ärmer – ich will das nicht! (Foto: Tanja Marlie Marotzke)

Digital: Carsten Scheibe (Journalist)

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Die Zeiten ändern sich. Die gute alte Tonbandkassette gibt es nicht mehr, mit der wir damals als Kinder die aktuellen Musik-Charts aus dem Radio aufgenommen haben. Die sperrige VHS-Videokassette ist tot. Mein Gott, die wird doch wohl wirklich niemand vermissen, oder? Und auch die Vinyl-LP als Platz fressender nostalgisch verklärter Musik-Frisbee hat ausgedient – nur ein paar ewig Gestrige halten noch an dem knisternden Medium fest. Ich bin immer gern mit der Zeit gegangen und habe zügig LPs gegen CDs und diese dann gegen MP3s ausgetauscht. Meine strahlende Vision von einer Zukunft: Leere Bücherregale und eine ausrangierte Schrankwand. Denn alle meine Medien lagern nun im Computer und in der Cloud.

Bücher: Ich liebe Lesen. Ich bin meinen Lieblingsautoren überaus treu und habe in meinem Regal sämtliche Buchausgaben von Stephen King, Charles Bukowski, Andrew Vachss, Lee Child und Robert B. Parker zu stehen. Aber wie lange noch? Ich habe letztens beim Staubwedeln festgestellt, dass alte Bücher anfangen, muffig zu riechen. Bärks. Da habe ich wirklich keine Lust mehr, noch einmal darin zu blättern. Zumal es leider ein Fakt ist, dass es abgesehen von A.S. Neills „Die grüne Wolke“ kein Buch gibt, das ich ein zweites oder drittes Mal gelesen habe.
Inzwischen kaufe ich nur noch digital und habe alle meine neuen Bücher im Kindle. Nun lese ich meine eBooks im Bett, ohne dafür die Lampe einschalten zu müssen. Ich stelle dabei die mir optimal erscheinende Schriftgröße ein. Der Kindle ist viel besser beim Lesen zu halten als ein Buch. Scheiß auf die Haptik eines echten Buches – der Kindle liegt tausend Mal besser in der Hand. Und leichter ist er auch. Außerdem: Ich habe meine gesamte Bibliothek immer mit dabei, vor allem im Urlaub und auf Reisen. Und dank der Cloud kann ich unterwegs mein aktuelles Buch auch spontan auf dem iPhone weiterlesen. Wie toll ist das denn?

Musik: Früher hatte ich im Büro einen CD-Player in der Ecke zu stehen. War die eingelegte CD nach knapp einer Stunde ausgespielt, musste ich aufstehen und die CD wechseln. Das nervt. Heute habe ich 1.784 Musikalben im Rechner, darunter alleine 48 Alben von Neil Young. Egal, was ich hören möchte – ein Klick in iTunes und es geht los. Die Qualität der Musik ist laut meinen geschundenen Ohren auf den Bowers&Wilkens-Boxen absolut fantastisch – da habe ich keine Nachbesserungswünsche. Im Büro höre ich übrigens weiterhin am liebsten Alben – wie früher! Ich habe mir aber auch extra eine Wiedergabeliste erstellt mit meinen 250 Lieblings-Songs. Die lagern nun auf einem iPod mini im Auto. Radio höre ich hier gar nicht mehr, stattdessen laufen beim Autofahren meine Songs in der Endlosschleife. Schöne neue digitale Welt.

Comics: Ich liebe Comics. Ich bin aufgewachsen mit Corto Maltese, Lucky Luke, Asterix, Tim und Struppi sowie den großen französischen und belgischen Künstlern. In meinem Büro stapeln sich die originalen Marvel-Comics der letzten 20 Jahren, vor allem Spider Man, Wolverine, X-Men und die Avengers. Aber wie langwierig und umständlich war es immer, alle drei Monate eine Riesenkiste Comics aus den USA zu beziehen. Und teuer. Heute kaufe ich meine Comics im iPad – und nach einer Minute kann ich mit dem Lesen beginnen. Dank der Hintergrundbeleuchtung des iPads leuchten die Comicbilder auf einmal richtig auf. Das ist ein völlig neues Lesevergnügen, zumal ich einzelne Bilder auch mit den Fingern vergrößern kann. Papier kann da nicht mehr mithalten. Endlich nimmt die Sammlung auch nicht mehr so viel Platz ein. Und alte Comics sind auf einmal nie mehr vergriffen.

Letzte Worte: Ich sehe im Digitalen zurzeit nur Positives. Dank iPhone, Kindle und iPad habe ich alle meine Medien auf allen Wegen immer mit dabei. (Foto: Betty Menge)

Der Beitrag Analog oder Digital? erschien zuerst auf Falkensee aktuell.


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